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Genese

Iris Andraschek nahm die "Muse" Kastalia sowohl raumstrukturell als auch thematisch zum Ausgangs- und Angelpunkt ihrer Arbeit: Die monumentale Schattenfigur setzt mit ihrer rechten Fußspitze genau am Scheitelpunkt des Halbkreises vor dem Brunnen an. Dadurch entsteht der Eindruck, als hätte sich die Muse, nach 100-jährigem Ausharren plötzlich von einer rebellischen Energie erfasst, in einer zeitgenössischen Metamorphose quer über den Hof projiziert, um sich als gigantisches Negativ in die Bodenfläche einzuschreiben. In der Dynamik
dieses Prozesses wird aus der allegorischen Hüterin einer als männlich verstandenen Wissenschaft eine mehrdeutige, auch bedrohliche Figur, die sowohl
in die Vergangenheit als auch in die Zukunft weist.

Andraschek wählte für den revolutionären Gestus ihrer Schattensilhouette verschiedene Vorlagen, wie die Freiheit von Eugène Delacroix, das aufständische
"Riot Girl"9 der 1990er-Jahre oder die virtuelle Cyberheldin Lara Croft. Weitere
Referenzen suchte Andraschek im Bereich der Universität selbst. Sie forderte
Frauen, die dort lehren, auf, ihr vor der Fotokamera in einer selbst gewählten
Pose zum Thema Modell zu stehen. Aus all diesen bewusst scherenschnittartig
und formelhaft konzipierten Vorbildern generierte sie den Umriss des "Schattens",
der sich nun als scheinbare Anamorphose der Kastalia über den mit Steinplatten
gepflasterten Hof hinstreckt. In formaler, aber auch symbolischer Hinsicht äußerst
wichtig ist, dass der "Schatten" nicht, wie man aus der Entfernung vermuten
könnte, aufgemalt ist oder aus einer Beschichtung besteht, sondern als Intarsie
aus einem dunkleren Stein, Granit, in die helle Kalksteinpflasterung eingebettet
ist, wobei das Fugenbild beibehalten wurde.

Iris Andraschek, könnte man sagen, erteilt der Idylle des Arkadenhofs ebenfalls
einen posthumen Schock. Sie verweist mit dem Stein gewordenen Index ihrer
aufbegehrenden weiblichen Figur nicht allein auf eine Leerstelle und den damit
verknüpften Anspruch der Wissenschafterinnen. Sie evoziert damit auch eine prekäre Moderne, in der traditionelle Geschlechterrollen und Repräsentationssysteme gleichermaßen aufzubrechen begonnen hatten. Dass die Musen und die ideologischen Sockel, auf denen diese im Dienste eines männlich definierten Symbolsystems platziert worden waren, von den Avantgarden gestürzt wurden, bedeutete jedoch nicht zugleich, dass Frauen die gleichen Rechte wie Männern zugestanden wurden. Diese mussten und müssen sie sich nach wie vor erkämpfen. Der Muse reicht’s — und das schon seit Langem; dies in der Universität
zu manifestieren ist Iris Andraschek eindrucksvoll gelungen.

Auszug aus dem Text: Der Muse reichts. Ein Index von Iris Andraschek im
Arkadenhof der Universität Wien von Silvia Eiblmayr

Werkbeschreibung

Die Schattenintarsie aus anthrazitfarbigem Granit "Nero Assoluto" ist in den
bestehenden Steinboden eingelegt. Sie ist circa 28 Meter lang und 9 Meter breit. Der Umriss des Schattens wurde aus einer Fotoarbeit entwickelt, in der
Mitarbeiterinnen und Studentinnen der Universität Wien auf einem Sockeldummy Haltung zu ihrer Nichtvertretung im Arkadenhof einnahmen und als lebende Denkmäler posierten. Zusätzlich bezogen sie in Interviews Stellung zu den Versäumnissen bei den Ehrungen von Frauen an der Universität. Anhand dieser Fotos und in Anlehnung an historische und zeitgenössische Darstellungen revolutionärer Frauenfiguren generierte die Künstlerin den Schattenriss. Diese Figur urde im Innenhof von der Basis des Kastaliabrunnens ausgehend vorgezeichnet, danach aus den vorhandenen Kalksteinplatten ausgeschnitten und mit fugengenau zugeschnittenen Granitplatten in Drainagemörtel verlegt. Dabei hält die Schattenfigur die vorhandene Verlegestruktur des Kalksteins ein, das Fugenbild läuft weiter.

Ergänzt wird die Arbeit durch zwei mit Inschriften versehene Sockel: Die beiden
Quader mit einer Breite von jeweils 1,35 Metern, einer Tiefe von 1,32 Metern und einer Höhe von 38 Zentimetern aus anthrazitfarbigem Granit "Nero Assoluto" befinden sich an der Freitreppe zum Arkadenhof. Sockel 1 trägt Titel, Entstehungsjahr, Name der Künstlerin und folgende Inschrift:
ERINNERUNG AN DIE NICHT STATTGEFUNDENEN EHRUNGEN VON
WISSENSCHAFTERINNEN UND AN DAS VERSÄUMNIS, DEREN
LEISTUNGEN AN DER UNIVERSITÄT WIEN ZU WÜRDIGEN.
Die Inschrift des zweiten Sockels wird in enger Zusammenarbeit mit
Wissenschafterinnen der Universität Wien im Jahr 2010 erarbeitet werden.